Friedrich Engels sen.
1796 – 1860



Barmen

Karl Wilhelm Moritz Snethlage
1792 – 1871



Berlin

1.1.

An den DomCandidaten
Herrn Snetlage
Wohlgeboren

frei. in

Berlin.-

An den DomCandidaten
Herrn Snetlage
Wohlgeboren
frei. in
Berlin.-

 

Freue Dich mit mir, innigst geliebter Karl, der
liebe Gott hat unſser GebätGebet erhört, und uns am
verfloßnen Dienstag Abend, den 29. Nov.November Abends um
9 Uhr ein Kindlein, und zwar einen geſsunden
wohlgestalteten Knaben geſschenkt. JIhm ſseÿyſsey Lob und
Preis aus unſsern vollen Herzen gebracht, für dieſses
Kind, und für die gnädige Hülfe und Bewahrung, welche
wir bei der Entbindung für Mutter und Kind er
fahren haben! Es ging zwar alles glüklichglücklich, doch war
es eine ſschwere Geburt. Ach Gott, was fühlte ich, als
ich mein armes Weib ſso leiden ſsah; es ist nicht zu be
ſschreiben. Oft war es mir, als wenn ich es nicht mehr
anſsehen könnte, und doch liesließ mich dieſselbe Liebe
keinen AugenblikAugenblick von ihrem Schmerzenslager
weichen, um ihr wo möglich einige Erleichterung
verſschaffen zu helfen. Der Herr ſseÿy gelobt,
daß dieſse Zeit der Angst vorüber ist! und nicht
nur vorüber ist, ſsondern durch Freude verdrängt
wurde, als wir nun das Jüngelchen ſso geſsund hatten.

Meine gute Eliſse ist nun ſseitdem den UmständUmständen
nach ganz wohl geweſsen, blosbloß dieſse Nacht bekam
ſsie ſsehr heftige Leibſschmerzen, welche jedoch von
Blähungen herrührten, und auf einige Verordnung
des Arztes bald wieder verſschwanden. Das
kleine Knäbchen ſschläft fast immer recht ruhig, und
das ist recht gut, denn Gott stärkt ja die Kleinen
im Schlafe.
Sein kleines Haus steht neben mir,
mit ſseinem ſsanft ſschlummernden Bewohner, und
macht mir eine ganz neue große Freude, ſso oft ich
es ſsehe. Der gute Gott nehme nun ferner beide

Lieben in Seinen Heiligen Schutz. Er ſseÿye auch dem
Kindlein ein ſso gütiger Gott u.und Vater, wie er mir
bisher war, und gebe daß wir einst vor Seinem Throne
noch Freude von dieſser Geburt haben. Er gebe uns
aber auch Weisheit, es gut und in Seiner Furcht zu
erziehen, und ihm durch unſser Beiſspiel die beßte Lehre
zu geben! Dieß ist nun mein tägliches GebätGebet.

JIch hatte vor, Dir ſschon am Mittwoch unmittelbar
nach der Entbindung meiner l.lieben Frau zu ſschreiben,
aber es ging ſso unruhig hier her, und meine
Thätigkeit wurde den ersten Morgen von ſso vielen
Seiten in Anſspruch genommen daß es mir
unmöglich war.

Deinen lieben Eltern und Geſschwistern theilst
Du die heutige frohe Nachricht wohl mit, und
ſsey ſso gut, meine Eliſse und mich ihnen allen
aufs herzlichste zu empfehlen.

Deinen lieben Brief vom 16. Nov.November habe ich
richtig erhalten; er hat mir große Freude gemacht,
obgleich Deine Schreibe=Großmuth mich etwas beſschämte.
JIch will mich aber beßernbessern in dieſsem Stücke, und mehr
ſschreiben wenn auch noch mehr wirkliche AbhaltungAbhaltungen
eintreten ſsollten, als ſseit meinem letzten
ordentlichen Briefe wirklich existirten.

August u.und Louise (die Frau) haben eine ſsehr
ſschöne Reiſse, fast die ſselbe wie Du gemacht,
und erzählen zuweilen von ihren Abentheuern,
und von den guten Leuten, die ſsie haben
kennen gelernt. Was ſsoll ich Dir auf Deine
Frage warum Louise (unſsere) nicht Lust hatte
die ſschöne Reiſse mitzumachen, antworten?

JIch habe mich ſselbst über ihr ruhiges Entſsagen
dieſser Reiſse gewundert. Doch mir fällt ein, daß
es beim Antritt der Schweizer-Reiſse noch nicht aus
gemacht war, ob Papa nicht noch nach Berlin mußte,
es war damals ſsogar wahrſscheinlich, und da qualifizirt
ſsich nach unſser aller häuslichen VerhältnißenVerhältnissen niemand
beßerbesser zur Begleiterin des l.lieben Papas als ſsie; zudem
hatte ſsie von Eliſse ſschon ſso vieles von Eurer
merkwürdigen Stadt gehört, daß ſsie darüber der
Schweiz, wovon ſsie doch ſschon vieles geſsehen hatte,
ohne großen Kampf entbehren konnte.

Was hast Du dem guten Papa mit Deiner
Kirchennachricht
für Freude gemacht, lieber Karl!
Er war ſseelenvergnügt u. und dankbar gegen den höhernrn
Lenker dieſser wichtigen Sache.

sDa hat ſso eben Eliſse den kleinen Jungen
bei ſsich, und unterhält ſsich mit ihm. Mir laufen
immer die Freudenthränen in die Augen, wenn
ich das ſsehe u.und höre. Gott ge laßelasse Dich auch ’mal
ſsolche Freuden empfinden, Herzens Karl.

Nun lebe recht wohl. Dein Andenken lebt
bei uns allen, u.und alle laßenlassen dich herzlich grüßgrüßen
beſsonders aber Eliſse und meine gute SchwiegermuttSchwiegermutter.
Der Herr ſseÿy ferner mit Dir und
 
Deinem
 ß Friedrich.

Friedrich Engels sen. irrt sich offenkundig im Datum: die offizielle Geburtsurkunde trägt das Datum des 28.11.1820, ein Dienstag
(siehe auch weiter unten, Z. 39–44).


Caspar Jakob Lucas (1765–1826), Arzt und Geburtshelfer in Elberfeld.


Evtl. Anspielung auf Ps. 127,2.3: „denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf. / Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn und Leibesfrucht ist ein Geschenk.“


Wiege.


Der Bruder August Engels ( 1794–1874) und die Schwägerin Louise Engels, geb. Krebs (1801–1871).


Vermutlich die Hochzeitsreise von Bruder und Schwägerin in die Schweiz und nach Oberitalien, die sie nach ihrer Hochzeit am 17.8.1820 angetreten hatten.


Berlin.


Offenbar eine gute Nachricht in der Angelegenheit des Baus der Unterbarmer Kirche, die dem Vater ein überaus großes, über Jahre hinweg betriebenes Anliegen war.


Franziska van Haar, geb. Snethlage (1758–1846), zugleich Tante des Adressaten.

1.1.

An den DomCandidaten
Herrn Snetlage
Wohlgeboren

frei. in

Berlin.-

An den DomCandidaten
Herrn Snetlage
Wohlgeboren
frei. in
Berlin.-

 

Freue Dich mit mir, innigst geliebter Karl, der
liebe Gott hat unſser GebätGebet erhört, und uns am
verfloßnen Dienstag Abend, den 29. Nov.November Abends um
9 Uhr ein Kindlein, und zwar einen geſsunden
wohlgestalteten Knaben geſschenkt. JIhm ſseÿyſsey Lob und
Preis aus unſsern vollen Herzen gebracht, für dieſses
Kind, und für die gnädige Hülfe und Bewahrung, welche
wir bei der Entbindung für Mutter und Kind er
fahren haben! Es ging zwar alles glüklichglücklich, doch war
es eine ſschwere Geburt. Ach Gott, was fühlte ich, als
ich mein armes Weib ſso leiden ſsah; es ist nicht zu be
ſschreiben. Oft war es mir, als wenn ich es nicht mehr
anſsehen könnte, und doch liesließ mich dieſselbe Liebe
keinen AugenblikAugenblick von ihrem Schmerzenslager
weichen, um ihr wo möglich einige Erleichterung
verſschaffen zu helfen. Der Herr ſseÿy gelobt,
daß dieſse Zeit der Angst vorüber ist! und nicht
nur vorüber ist, ſsondern durch Freude verdrängt
wurde, als wir nun das Jüngelchen ſso geſsund hatten.

Meine gute Eliſse ist nun ſseitdem den UmständUmständen
nach ganz wohl geweſsen, blosbloß dieſse Nacht bekam
ſsie ſsehr heftige Leibſschmerzen, welche jedoch von
Blähungen herrührten, und auf einige Verordnung
des Arztes bald wieder verſschwanden. Das
kleine Knäbchen ſschläft fast immer recht ruhig, und
das ist recht gut, denn Gott stärkt ja die Kleinen
im Schlafe.
Sein kleines Haus steht neben mir,
mit ſseinem ſsanft ſschlummernden Bewohner, und
macht mir eine ganz neue große Freude, ſso oft ich
es ſsehe. Der gute Gott nehme nun ferner beide

Lieben in Seinen Heiligen Schutz. Er ſseÿye auch dem
Kindlein ein ſso gütiger Gott u.und Vater, wie er mir
bisher war, und gebe daß wir einst vor Seinem Throne
noch Freude von dieſser Geburt haben. Er gebe uns
aber auch Weisheit, es gut und in Seiner Furcht zu
erziehen, und ihm durch unſser Beiſspiel die beßte Lehre
zu geben! Dieß ist nun mein tägliches GebätGebet.

JIch hatte vor, Dir ſschon am Mittwoch unmittelbar
nach der Entbindung meiner l.lieben Frau zu ſschreiben,
aber es ging ſso unruhig hier her, und meine
Thätigkeit wurde den ersten Morgen von ſso vielen
Seiten in Anſspruch genommen daß es mir
unmöglich war.

Deinen lieben Eltern und Geſschwistern theilst
Du die heutige frohe Nachricht wohl mit, und
ſsey ſso gut, meine Eliſse und mich ihnen allen
aufs herzlichste zu empfehlen.

Deinen lieben Brief vom 16. Nov.November habe ich
richtig erhalten; er hat mir große Freude gemacht,
obgleich Deine Schreibe=Großmuth mich etwas beſschämte.
JIch will mich aber beßernbessern in dieſsem Stücke, und mehr
ſschreiben wenn auch noch mehr wirkliche AbhaltungAbhaltungen
eintreten ſsollten, als ſseit meinem letzten
ordentlichen Briefe wirklich existirten.

August u.und Louise (die Frau) haben eine ſsehr
ſschöne Reiſse, fast die ſselbe wie Du gemacht,
und erzählen zuweilen von ihren Abentheuern,
und von den guten Leuten, die ſsie haben
kennen gelernt. Was ſsoll ich Dir auf Deine
Frage warum Louise (unſsere) nicht Lust hatte
die ſschöne Reiſse mitzumachen, antworten?

JIch habe mich ſselbst über ihr ruhiges Entſsagen
dieſser Reiſse gewundert. Doch mir fällt ein, daß
es beim Antritt der Schweizer-Reiſse noch nicht aus
gemacht war, ob Papa nicht noch nach Berlin mußte,
es war damals ſsogar wahrſscheinlich, und da qualifizirt
ſsich nach unſser aller häuslichen VerhältnißenVerhältnissen niemand
beßerbesser zur Begleiterin des l.lieben Papas als ſsie; zudem
hatte ſsie von Eliſse ſschon ſso vieles von Eurer
merkwürdigen Stadt gehört, daß ſsie darüber der
Schweiz, wovon ſsie doch ſschon vieles geſsehen hatte,
ohne großen Kampf entbehren konnte.

Was hast Du dem guten Papa mit Deiner
Kirchennachricht
für Freude gemacht, lieber Karl!
Er war ſseelenvergnügt u. und dankbar gegen den höhernrn
Lenker dieſser wichtigen Sache.

sDa hat ſso eben Eliſse den kleinen Jungen
bei ſsich, und unterhält ſsich mit ihm. Mir laufen
immer die Freudenthränen in die Augen, wenn
ich das ſsehe u.und höre. Gott ge laßelasse Dich auch ’mal
ſsolche Freuden empfinden, Herzens Karl.

Nun lebe recht wohl. Dein Andenken lebt
bei uns allen, u.und alle laßenlassen dich herzlich grüßgrüßen
beſsonders aber Eliſse und meine gute SchwiegermuttSchwiegermutter.
Der Herr ſseÿy ferner mit Dir und
 
Deinem
 ß Friedrich.

Friedrich Engels sen. irrt sich offenkundig im Datum: die offizielle Geburtsurkunde trägt das Datum des 28.11.1820, ein Dienstag
(siehe auch weiter unten, Z. 39–44).


Caspar Jakob Lucas (1765–1826), Arzt und Geburtshelfer in Elberfeld.


Evtl. Anspielung auf Ps. 127,2.3: „denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf. / Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn und Leibesfrucht ist ein Geschenk.“


Wiege.


Der Bruder August Engels ( 1794–1874) und die Schwägerin Louise Engels, geb. Krebs (1801–1871).


Vermutlich die Hochzeitsreise von Bruder und Schwägerin in die Schweiz und nach Oberitalien, die sie nach ihrer Hochzeit am 17.8.1820 angetreten hatten.


Berlin.


Offenbar eine gute Nachricht in der Angelegenheit des Baus der Unterbarmer Kirche, die dem Vater ein überaus großes, über Jahre hinweg betriebenes Anliegen war.


Franziska van Haar, geb. Snethlage (1758–1846), zugleich Tante des Adressaten.


BarmenBarmen und Wupperfeld (Ausschnitt). Johann Heinrich Bleuler (1758–1823). Umrissradierung mit Gouache, um 1810. © Museum Industriekultur Wuppertal

BerlinBlick vom Kreuzberg. Johann Heinrich Hintze (1800–1861). Öl auf Leinwand, 1829. © Berlin Museum