1.1.
Fräulein Eliſse van Haarin
Hamm.
Samſtstag Abend.
An dieſsem ruhigen Abende, wo alle Arbeiten
für dieſse Woche ruhen, und alles ſsich auf den kommenden Tag
des Herrn vorbereitet – dachte ich einige Augenblicke Dir, der
Geliebten meines Herzens zu widmen. Die ganze Woche
hatte ich den heutigen Abend dazu beſtstimmt, und glücklicher⹀
weiſse kommt mir kein Hinderniß in den Weg.
Vermuthlich ſsind wir zu einer Zeit in unſsern älterlichen
Häuſsern wieder angelangt, denn wir waren kurz nach
1 Uhr wieder hier; wo ich froh empfangen wurde.
Das waren ein paar frohe und wichtige Wochen, die
Du bei uns verlebteſtst! Sie haben über unſser beiderſseitiges
Schickſsal, will’s Gott beſtstimmt! O es wird mir immer
klarer, daß wir für einander geſschaffen, daß unſser Zu⹀
ſsammentreffen von dem gütigen Gotte geleitet wurde.
Die ſsonderbare, auffallende Veränderung der Stimmung
in unſserm Hauſse, die Liebe die meine Eltern zu Dir
zeigen, und gewiß auch haben, mein inneres Gefühl,
wenn ich in dieſser wichtigen Sache mich zu unſserm himmliſschen
Vater wandte – alles ſschien mir zu ſsagen: „Das iſtst das
Mädchen, das ſsich für Dich paßt, und an Deiner Seite dieſses
Leben durchwandeln ſsoll.“ – Nun liebe Eliſse laß uns täglich
den lieben Gott bitten, (wie wir uns auch abgeſsprochen haben)
daß Er die Sache lenken und regieren wolle nach Seinem
weiſsen Rathe, und wenn’s Sein heiliger Wille iſtst, uns ſseiner
Zeit zuſsammen vereinigen möge, damit wir JIhn alsdann
durch unſser Leben preiſsen und Seine gütige Führung bewundern.
Auf dieſse Art wird uns unſsere frühzeitige Bekanntſschaft
zum wahren Nutzen dienen, und ein Mittel ſseÿyn, im
Chriſtstenthum weiter zu kommen; und Du ſsollſtst ſsehen,
die Zeit wird uns ſso ſschnell vergehen, daß wir ſselbſtst es
nicht begreifen können; denn dieſse Stimmung, worin
wir auf Gott vertrauen, bewahrt uns vor jenem Leiden⹀
ſschaftlichen, welches die Ruhe ſtstört, und zu den äußern
gewöhnlichen BeſschäfftigungenBeſschäftigungen oft unfähig macht.
Nein ſso wollen wir es nicht anfangen.
das iſtst das rechte Präſservatif gegen Melancholie. – Ich will
mich nun mit allem Fleiße dran geben, alles zu ſtstudiren,
was zum Fabrikweſsen gehört, weil ich meinem guten
Papa keine größere Freude machen kann., ich will alles
thun was ich ihm an den Augen abſsehen kann, und ich bin
überzeugt, er läßt mich dann keine Fehlbitte thun.
Auf dieſse Weiſse dünkt mich, können wir die folgenden
paar Jahre recht vergnügt verleben; wir wiſsſsen ja Beide
woran wir ſsind, und unſsere Liebe wird im Stillen immer
mehr zunehmen. Von Deiner Treue bin ich nur zu ſsehr
überzeugt, und auf mich kannſtst Du unter Gottes Beiſtstand ja
auch zählen; – Dein Bild wird mich begleiten ſseÿy es hier,
oder auf Reiſsen.
Dieſser erſtste Brief, den ich in meinem Leben
an meine Geliebte ſschreibe, iſtst ein wenig ernſtsthaft aus⹀
gefallen, nicht wahr liebe Eliſse? indeßenIndessen ſsage ich es gerne
wie’s mir ums Herze iſtst, und ſso gehts Dir auch das weiß
ich; offen wollen wir dann auch immer mit einander
reden, o es thut einem oft ſso wohl, wenn man ſsein
Herze ausſschütten kann! – Nun von was anderm:
M. Minchen Sparenberg wird in einiger Zeit nach Wesel reiſsen,
und dann den Winter bei Euch zubringen. Dieſses
letztere freut mich ſsehr für Dich; Ihr könnt dann noch
zuweilen von dem hieſsigen Weſsen zuſsammen plaudern,
und Du haſtst für einige Zeit noch jemand um Dich, dem
unſsere Angelegenheit bekannt iſtst.
Ich glaube faſtst, Griesheim hat in Hagen etwas ge⹀
merkt, nicht wahr? dasDas thut indeßenindessen nichts, er wird es
doch einmal beſtstimmter gewahr werden. LaßeLasse
Du Dir aber nichts merken, denn es iſtst wirklich beßerbesser,
wenn alles für’s erſtste noch ganz ſtstille bleibt; denn
mein Papa darf meine Liebe zu Dir durchaus durch
keinen andern als durch mich erfahren, ſsonſtst würden wir
unſserer Sache ſselbſtst ſschaden; und Deinem Vater ſsagte
ich es auch gerne ſselbſtst. –
Mit den Briefen müßenmüssen wir ebenfalls alle Vorſsicht
beobachten, und einander lieber nicht ſso häufig ſschreiben.
Wenn ich doch nur jemand wüßte woran Du oder M. Minchen
Sparenberg die Briefe adressiren könnte, wenn die letztere
nicht mehr bei uns iſtst! Vielleicht muß es noch Freund
Keetmann werden, der doch die Sache ſschon ziemlich errathen
hat, wie ich heute noch an ihm merkte; nun, auch hierzu
wird ſsich noch ein Ausweg finden.
Jetzt ſsoll ich wohl ſso allgemach an’s ſschließen denken
müßenmüssen, weil es ſschon ziemlich ſspät iſtst. Lebe dann
innig geliebte Eliſse recht wohl und vergnügt bei den
Deinigen. M. Minchen Sparenberg hat mir verſsprochen, Dir
morgen ein Kleid zu kaufen, und es Dir durch die
UeberbringerinnÜberbringerin diesſseds Briefs mitzuſschicken. Nimm
dieſse Kleinigkeit dann als ein Andenken von mir
an, und erinnere Dich beim Tragen zuweilen des Gebers.
Ich weiß meine Eliſse ſschätzt ein Geſschenk nicht nach deßen
Geldwerth, ſsondern nach der Abſsicht die damit verbunden
war. – Punktum, Gedankenſtstrich! Für heute iſtsts am Ende.
Mein nächſtster Brief wird luſtstiger werden, heute
wollte es nicht recht gehen, und ich zwinge mich gnicht gerne.
Verzeihe mir mein ſschlechtes Schreiben, mein
Federmeſsſser iſtst auf dem Comptoir, die Dinte ſso dick wie
Breÿy, und der Tiſsch wohl für Advocaten aber nicht für
Comptoriſtsten, die die Pulte gewohnt ſsind, eingerichtet.
Nochmals lebe recht wohl. Der gute Gott ſseÿy mit
Dir und
Friedrich.
Elise van Haar verbrachte den Sommer 1816 in Barmen. In dieser Zeit entstand die Zuneigung zwischen ihr und Friedrich Engels sen.
Das benediktinische Motto „ora et labora“ (bete und arbeite) könnte über die Katechismen des Theologen Johannes Brenz (1499–1570) Eingang in den Protestantismus gefunden haben. (Vgl. Oliver J. Kaftan: „Ora et labora – (k)ein benediktinisches Motto. Eine Spurensuche“. In: Erbe und Auftrag 90, 2014, 415–421.)
Wilhelmine (Minchen) Elisabeth Sparenberg (1788–1841), langjährige Haushälterin bei Johann Caspar Engels (1753–1821), Friedrich Engels sen. (1796–1860) und Louise Snethlage, geb. Engels (1799–1845).
Karl von Griesheim (1779–1859), Preußischer Offizier in Hamm. Ehemann von Friederike von Griesheim, geb. van Haar (1789–1880).
Johann Keetman (1793–1865), Kommerzienrat, ab 1823 Teilhaber des Bankhauses Johann Wichelhaus P. S. in Elberfeld. Freund von Friedrich Engels sen.
Anwälte, Juristen.
Kontor, Büro, Geschäftsräume der Kaufleute.
Schreiber, Buchhalter, Kaufleute
1.1.
Fräulein Eliſse van Haarin
Hamm.
Samſtstag Abend.
An dieſsem ruhigen Abende, wo alle Arbeiten
für dieſse Woche ruhen, und alles ſsich auf den kommenden Tag
des Herrn vorbereitet – dachte ich einige Augenblicke Dir, der
Geliebten meines Herzens zu widmen. Die ganze Woche
hatte ich den heutigen Abend dazu beſtstimmt, und glücklicher⹀
weiſse kommt mir kein Hinderniß in den Weg.
Vermuthlich ſsind wir zu einer Zeit in unſsern älterlichen
Häuſsern wieder angelangt, denn wir waren kurz nach
1 Uhr wieder hier; wo ich froh empfangen wurde.
Das waren ein paar frohe und wichtige Wochen, die
Du bei uns verlebteſtst! Sie haben über unſser beiderſseitiges
Schickſsal, will’s Gott beſtstimmt! O es wird mir immer
klarer, daß wir für einander geſschaffen, daß unſser Zu⹀
ſsammentreffen von dem gütigen Gotte geleitet wurde.
Die ſsonderbare, auffallende Veränderung der Stimmung
in unſserm Hauſse, die Liebe die meine Eltern zu Dir
zeigen, und gewiß auch haben, mein inneres Gefühl,
wenn ich in dieſser wichtigen Sache mich zu unſserm himmliſschen
Vater wandte – alles ſschien mir zu ſsagen: „Das iſtst das
Mädchen, das ſsich für Dich paßt, und an Deiner Seite dieſses
Leben durchwandeln ſsoll.“ – Nun liebe Eliſse laß uns täglich
den lieben Gott bitten, (wie wir uns auch abgeſsprochen haben)
daß Er die Sache lenken und regieren wolle nach Seinem
weiſsen Rathe, und wenn’s Sein heiliger Wille iſtst, uns ſseiner
Zeit zuſsammen vereinigen möge, damit wir JIhn alsdann
durch unſser Leben preiſsen und Seine gütige Führung bewundern.
Auf dieſse Art wird uns unſsere frühzeitige Bekanntſschaft
zum wahren Nutzen dienen, und ein Mittel ſseÿyn, im
Chriſtstenthum weiter zu kommen; und Du ſsollſtst ſsehen,
die Zeit wird uns ſso ſschnell vergehen, daß wir ſselbſtst es
nicht begreifen können; denn dieſse Stimmung, worin
wir auf Gott vertrauen, bewahrt uns vor jenem Leiden⹀
ſschaftlichen, welches die Ruhe ſtstört, und zu den äußern
gewöhnlichen BeſschäfftigungenBeſschäftigungen oft unfähig macht.
Nein ſso wollen wir es nicht anfangen.
das iſtst das rechte Präſservatif gegen Melancholie. – Ich will
mich nun mit allem Fleiße dran geben, alles zu ſtstudiren,
was zum Fabrikweſsen gehört, weil ich meinem guten
Papa keine größere Freude machen kann., ich will alles
thun was ich ihm an den Augen abſsehen kann, und ich bin
überzeugt, er läßt mich dann keine Fehlbitte thun.
Auf dieſse Weiſse dünkt mich, können wir die folgenden
paar Jahre recht vergnügt verleben; wir wiſsſsen ja Beide
woran wir ſsind, und unſsere Liebe wird im Stillen immer
mehr zunehmen. Von Deiner Treue bin ich nur zu ſsehr
überzeugt, und auf mich kannſtst Du unter Gottes Beiſtstand ja
auch zählen; – Dein Bild wird mich begleiten ſseÿy es hier,
oder auf Reiſsen.
Dieſser erſtste Brief, den ich in meinem Leben
an meine Geliebte ſschreibe, iſtst ein wenig ernſtsthaft aus⹀
gefallen, nicht wahr liebe Eliſse? indeßenIndessen ſsage ich es gerne
wie’s mir ums Herze iſtst, und ſso gehts Dir auch das weiß
ich; offen wollen wir dann auch immer mit einander
reden, o es thut einem oft ſso wohl, wenn man ſsein
Herze ausſschütten kann! – Nun von was anderm:
M. Minchen Sparenberg wird in einiger Zeit nach Wesel reiſsen,
und dann den Winter bei Euch zubringen. Dieſses
letztere freut mich ſsehr für Dich; Ihr könnt dann noch
zuweilen von dem hieſsigen Weſsen zuſsammen plaudern,
und Du haſtst für einige Zeit noch jemand um Dich, dem
unſsere Angelegenheit bekannt iſtst.
Ich glaube faſtst, Griesheim hat in Hagen etwas ge⹀
merkt, nicht wahr? dasDas thut indeßenindessen nichts, er wird es
doch einmal beſtstimmter gewahr werden. LaßeLasse
Du Dir aber nichts merken, denn es iſtst wirklich beßerbesser,
wenn alles für’s erſtste noch ganz ſtstille bleibt; denn
mein Papa darf meine Liebe zu Dir durchaus durch
keinen andern als durch mich erfahren, ſsonſtst würden wir
unſserer Sache ſselbſtst ſschaden; und Deinem Vater ſsagte
ich es auch gerne ſselbſtst. –
Mit den Briefen müßenmüssen wir ebenfalls alle Vorſsicht
beobachten, und einander lieber nicht ſso häufig ſschreiben.
Wenn ich doch nur jemand wüßte woran Du oder M. Minchen
Sparenberg die Briefe adressiren könnte, wenn die letztere
nicht mehr bei uns iſtst! Vielleicht muß es noch Freund
Keetmann werden, der doch die Sache ſschon ziemlich errathen
hat, wie ich heute noch an ihm merkte; nun, auch hierzu
wird ſsich noch ein Ausweg finden.
Jetzt ſsoll ich wohl ſso allgemach an’s ſschließen denken
müßenmüssen, weil es ſschon ziemlich ſspät iſtst. Lebe dann
innig geliebte Eliſse recht wohl und vergnügt bei den
Deinigen. M. Minchen Sparenberg hat mir verſsprochen, Dir
morgen ein Kleid zu kaufen, und es Dir durch die
UeberbringerinnÜberbringerin diesſseds Briefs mitzuſschicken. Nimm
dieſse Kleinigkeit dann als ein Andenken von mir
an, und erinnere Dich beim Tragen zuweilen des Gebers.
Ich weiß meine Eliſse ſschätzt ein Geſschenk nicht nach deßen
Geldwerth, ſsondern nach der Abſsicht die damit verbunden
war. – Punktum, Gedankenſtstrich! Für heute iſtsts am Ende.
Mein nächſtster Brief wird luſtstiger werden, heute
wollte es nicht recht gehen, und ich zwinge mich gnicht gerne.
Verzeihe mir mein ſschlechtes Schreiben, mein
Federmeſsſser iſtst auf dem Comptoir, die Dinte ſso dick wie
Breÿy, und der Tiſsch wohl für Advocaten aber nicht für
Comptoriſtsten, die die Pulte gewohnt ſsind, eingerichtet.
Nochmals lebe recht wohl. Der gute Gott ſseÿy mit
Dir und
Friedrich.
Elise van Haar verbrachte den Sommer 1816 in Barmen. In dieser Zeit entstand die Zuneigung zwischen ihr und Friedrich Engels sen.
Das benediktinische Motto „ora et labora“ (bete und arbeite) könnte über die Katechismen des Theologen Johannes Brenz (1499–1570) Eingang in den Protestantismus gefunden haben. (Vgl. Oliver J. Kaftan: „Ora et labora – (k)ein benediktinisches Motto. Eine Spurensuche“. In: Erbe und Auftrag 90, 2014, 415–421.)
Wilhelmine (Minchen) Elisabeth Sparenberg (1788–1841), langjährige Haushälterin bei Johann Caspar Engels (1753–1821), Friedrich Engels sen. (1796–1860) und Louise Snethlage, geb. Engels (1799–1845).
Karl von Griesheim (1779–1859), Preußischer Offizier in Hamm. Ehemann von Friederike von Griesheim, geb. van Haar (1789–1880).
Johann Keetman (1793–1865), Kommerzienrat, ab 1823 Teilhaber des Bankhauses Johann Wichelhaus P. S. in Elberfeld. Freund von Friedrich Engels sen.
Anwälte, Juristen.
Kontor, Büro, Geschäftsräume der Kaufleute.
Schreiber, Buchhalter, Kaufleute